Die Bastion der Gegenrevolution

Von Redaktion · · 2011/06

Saudi-Arabien ist der Hüter des „perfekten islamischen Systems“, betont das religiöse Establishment des Landes immer wieder. Aus Riad berichtet Peter Böhm.

Es regnet nicht oft in Riad. Die saudi-arabische Hauptstadt liegt mitten in der Wüste, und deshalb erstaunte Mitte Jänner die Wettervorhersage, die für den nächsten Abend Regen prophezeite. Am nächsten Morgen orgelten die Imame über die Lautsprecher auf den Moscheen Gebete für den Regen durch die Viertel. In den Zeitungen stand, der König habe sie nach langer Dürre dazu aufgefordert, zusammen mit den Gläubigen für das Leben spendende Nass zu beten.

Wie vorausgesagt, kam der Regen auch tatsächlich, und er fiel so stark vom Himmel, dass das Wasser bald kniehoch in den Straßen stand. Dschidda, die Hafenstadt am Roten Meer, stand wieder einmal völlig unter Wasser. Nach einem starken Regen im Dezember 2009 ertranken nach offiziellen Angaben dort mehr als 120 Leute, die meisten jämmerlich in ihren Autos. Der Grund dafür ist einfach: Die Städte in Saudi-Arabien haben keine Regenwasser-Kanalisation.

Ob die Stadtplaner sie einfach vergessen haben wie einst die Schildbürger die Fenster im Rathaus? Oder ob, wie kritischere Stimmen meinen, das dafür vorgesehene Geld in den Taschen irgendeines Prinzen und/oder seiner Speichellecker gelandet ist? Selbst nach Dutzenden von Seiten, die die Zeitungen mit dem Thema schon vollgedruckt haben, ist das immer noch nicht klar. Ich befragte dazu den Menschenrechtler Mohammad Al Qahtani. Er ist so eine Art Ein-Mann-Opposition des Landes. „Die Show ziehen die hier immer ab, bevor es regnet“, meinte er gelangweilt.

Für den einen ist Saudi-Arabien eine Show, für andere das Königreich der Frommen. Aber es steckt alles drin im Gebet für den Regen, was den Wahhabiten-Staat ausmacht. Der süße Wahn des Islam, der einfach alles regiert, was hier passiert, und die gleichzeitige profunde Unfähigkeit, auch nur die grundlegendsten kommunalen Aufgaben zu organisieren. Natürlich gibt es auch in Saudi-Arabien den Wetterbericht, und es gibt hier auch das Internet und Satellitenfernsehen, das die Bilder vom „Arabischen Frühling“ in die Wohnstuben sendet. Aber wie könnte das alles von Bedeutung sein in einem Land, das doch das „perfekte islamische System“ hat, wie das religiöse Establishment immer wieder betont.

Deshalb ist es nur folgerichtig, dass das Königreich sich in den vergangenen Wochen und Monaten zur festen Bastion der Gegenrevolution im Nahen Osten entwickelt hat. Nach seinem Sturz floh der tunesische Präsident Zinedine Ben Ali ohne Zwischenstopp hierher, und bis der ägyptische Präsident Hosni Mubarak Anfang April zum ersten Mal vor Gericht auftauchte, gab es immer wieder Berichte, auch er halte sich hier auf. Als der neue ägyptische Premier Essam Scharaf Ende April nach Riad zu Besuch kam, mussten beide Seiten Berichte dementieren, die Saudis übten Druck aus, Mubarak und die Seinen nicht vor Gericht zu stellen.

Ein Versuch, die Proteste der anderen arabischen Länder auch ins Königreich zu tragen, scheiterte kläglich. Jemand richtete nach ägyptischem Vorbild eine Facebook-Seite ein, mit dem Aufruf zu einem „Tag der Wut“ am 11. März. Bis zum geplanten Tag fand die Seite 33.000 UnterstützerInnen. Dann stellte sich jedoch heraus, dass diese nur im Internet zu Protesten bereit waren.

Der König verbot seinen Untertanen einfach alle nicht-virtuellen Unmutsäußerungen mit dem Argument, sie seien unislamisch: „Gesetze und Verordnungen im Königreich verbieten grundsätzlich jede Art von Demonstrationen, Märschen oder Sit-ins oder Aufrufe dazu, denn sie verstoßen gegen die Prinzipien der Scharia-Gesetzgebung und gegen saudische Sitten und Gebräuche.“

Aber auch von wem dieser Aufruf kam, war bezeichnend. Er ging allem Anschein nach von der saudischen Oppositionsgruppe „Revolution Hanin“ in London aus, die sich noch religiöser gibt als das Wahhabiten-Regime. Sie wird von dem saudischen Islamisten Sadiq Al Faqeh geleitet. In Interviews distanzierte er sich nur vage und zweideutig von Osama bin Laden (vor seiner Hinrichtung in Pakistan; Anm.d. Red.), und die USA und einige westliche Medien werfen ihm finanzielle Unterstützung von El Kaida vor.

Die obersten saudischen Geistlichen verdammten den Protestaufruf, und die Imame in den Moscheen predigten gegen ihn, was das Zeug hielt. Aber um sicher zu gehen, dass sich wirklich alle an das Protest-Verbot hielten, versprach das Königreich auch eine ganze Reihe irdische Strafen. Die arabischsprachigen Zeitungen – nicht aber die englischsprachigen – waren voll mit Drohungen. Mitarbeiter der Sicherheitskräfte riefen ihre Freunde und Verwandten an und warnten, sie hätten Schießbefehl bekommen. Eine SMS-Nachricht fand weite Verbreitung, die jedem, der demonstrierte, Geld- oder Gefängnisstrafen androhte. Und sollte jemand beim Fotografieren oder Filmen der Proteste erwischt werden, so wurde gleich die Deportierung plus das Verbot, vier Jahre lang nach Saudi-Arabien zurückzukehren, in Aussicht gestellt.

Am geplanten „Tag der Wut“ selbst fuhr so viel Polizei in der Riader Innenstadt auf, dass die DemonstrantInnen kaum Platz gefunden hätten. Doch die Sorge war unberechtigt: Niemand tauchte auf.

Eine Woche danach hielt der greise König Abdullah, der 15. von 37 Söhnen des Staatsgründers Ibn Saud, eine Fernsehansprache. Laut den meisten Berichten ist er 87 Jahre alt. In seiner stockenden, gemurmelten Rede dankte er seinen Untertanen für ihre Loyalität und verteilte Geschenke im Wert von rund 70 Milliarden Euro in Form von Sozialausgaben an sie. Und die Untertanen versicherten ihn ihrerseits ihrer Loyalität in langen Zeitungsanzeigen. Es herrschte eine Stimmung frommer Eintracht.

Den Nachruf auf die ausgebliebene Wut hielt Prinz Salman in einer Rede an der Universität von Medina Ende März. Als Gouverneur von Riad gehört er zum engsten Kreis des Königshauses. Niemand hatte ihn danach gefragt, aber die Frage stand natürlich im Raum: Warum König Abdullah, der 2005 als erklärter Reformer den Thron bestiegen hatte, sich nun so auf das Althergebrachte stütze? „Die saudische Regierung ist die Fortführung des ersten islamischen Staates in Medina“, sagte der Prinz. Was er allerdings nicht sagte ist, dass die saudische Regierung diesen politischen Anspruch mit salafistischen Gruppen*) wie El Kaida und der von Al Faqeh teilt. Der vermeintlichen Stärkung der eigenen Position im Inneren folgte gleich ein forscheres Auftreten nach Außen. Vier Tage nach der Wut, die nicht stattfand, schickte Saudi-Arabien eintausend Soldaten in den kleinen Inselstaat Bahrain im Persischen Golf. Bahrain, mit Saudi-Arabien durch eine 25 km lange Brücke verbunden, ist für das Land gleichzeitig Bankenzentrum und Vergnügungspark, in den Saudis am Wochenende fahren, um der islamisch-strengen Atmosphäre zu Hause zu entfliehen.

Der saudische Einmarsch war ein Warnsignal an den Iran, dass das Land den Sturz der Sunni-Dynastie in Bahrain durch die mehrheitlich schiitische Bevölkerung dort nicht dulden würde, aber ebenso an die Schiiten in der eigenen Ostprovinz gerichtet. Sie machen dort fast die Hälfte der Bevölkerung aus.

Für Saudi-Arabien war es die erste richtige Militäraktion in eigener Regie. Zuvor hatte Saudi-Arabien als Land gegolten, das aus Angst vor Staatsstreichen keine Munition an seine Soldaten verteilte und das sich deshalb ausschließlich auf den militärischen Schutz der USA verlassen musste. Was den Jemen betrifft, so hat Saudi-Arabien inzwischen die Initiative übernommen, Präsident Ali Abdullah Saleh zum Rücktritt zu bewegen. Jemen ist fast völlig von saudischem Geld abhängig. Die Rücksendungen der jemenitischen Arbeiter machen einen Großteil des Bruttoinlandsproduktes des Landes aus, und die saudische Regierung übermittelt direkt monatliche Zahlungen an viele Clanführer und Politiker im südlichen Nachbarland.

Entscheidender für das wahhabitische Reich ist jedoch die Gefahr, die von „El Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AQAP) ausgeht. Diese Organisation hat in der jemenitischen Abyan-Provinz ein Rückzugsgebiet gefunden. Ihr Kampf gilt jedoch weniger dem Jemen als dem saudischen Königshaus.

Die Nachrichten aus dem Jemen sind für Riad beunruhigend. Ende März wurde eine von den USA finanzierte und von einem Sohn Salehs geleitete Anti-Terror-Truppe aus Abyan abgezogen. Die meisten BeobachterInnen gehen davon aus, Saleh wollte demonstrieren, dass er zum Kampf gegen AQAP gebraucht werde. Großspurig hat der El Kaida-Ableger daraufhin die Provinz zum „Islamischen Emirat“ erklärt, in dem die Scharia-Gesetzgebung gelte und Frauen das Haus nicht mehr verlassen dürften. Seit Anfang Mai gibt es dort fast täglich Angriffe auf die Sicherheitskräfte, ebenso wie in Hadramaut, der Wüstenprovinz im Osten, und in Hodeida an der Westküste.

Peter Böhm, früher lange in Afrika und Zentralasien als Korrespondent tätig, berichtet nun aus Riad für deutschsprachige Medien.

*) Der neofundamentalistische Salafismus ist eine internationale militante islamistische Bewegung, die den „wahren“ Islam praktizieren möchte.

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